„Werkstatt Wohnen“ - Gemeinsame Veranstaltung der vier AWO Ortsvereine in Bonn

Zusammenfassung der Informationen und Diskussionsbeiträge

Gemeinsame Veranstaltung der vier AWO Ortsvereine in Bonn - Bad Godes- berg, Beuel, Bonn-Mitte, Duisdorf - und des AWO Kreisverbandes am 10. Mai 2019 in der AWO-Begegnungsstätte Beuel

Zusammenfassung der Informationen und Diskussionsbeiträge

Impulsreferate:

  • Johanna Schäfer, BonnLAB, „Wem gehört die Stadt?“
  • Prof. Dr. Claus-Christian Wiegandt, Uni Bonn, „Gut leben auf engem Raum“
  • Sigurd Trommer, Vorsitzender der Gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft Bonn eG, „Gemeinsinnorientierte Stadtplanung“

Johanna Schäfer zeigte anhand einer Liste der Akteure, die sich mit ihren unterschiedlichen Interessen auf dem Feld von Stadtentwicklungs-, Boden- und Wohnungspolitik tummeln, auf, wie vielfältig die Akteurslandschaft ist und wie sich die Interessen überlappen und widersprechen können.

Als Akteure zählte sie auf: die Bürgerschaft, die Repräsentanz der Bürgerschaft (Rat der Stadt, Verwaltung der Stadt), der Staat als Grundbesitzer und Satzungs- bzw. Gesetzgeber (Kommune, Land, Bund, EU), die Reichen und die Investoren, die Unternehmen, Intellektuelle und Kulturschaffende. Ein Stadtplan visualisierte am Beispiel des Entwicklungsgebietes Viktoriakarree das Interessenkonglomerat. Leitfrage müsse sein: Wie können die Entscheidungsprozesse demokratisch und sozial verlaufen?

Claus-Christian Wiegandt hob hervor, dass die Konzentration einer hohen Einwohnerzahl in Bonn auf vergleichsweise kleiner Fläche und der Mangel an Bauland zu Wohnungsknappheit und steigenden Mieten führen.

Als Handlungsoptionen nannte er die Ausweisung von mehr Bauland für Wohnungen (Arrondierungen), Brachflächenaktivierung, Nachverdichtung, Baulückenschließungen, Dachgeschossausbau, Bauen in die Höhe (Wohnungen in Hochhäusern, Hochhäuser mit Mischnutzungen bzw. Auflagen für Sozialwohnungen, mögliche Standorte im Bundesviertel). Besonders wichtig sei die regionale Zusammenarbeit. Sigurd Trommer erinnerte daran, dass demokratisch verantwortete Stadtplanung per se gemeinsinnorientiert sei bzw. sein müsse. Die Durchsetzungsfähigkeit unterschiedlicher Interessen lasse manchmal an der Gemeinwohlorientierung zweifeln. Als Hauptaufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge definierte er die Gewährleistung eines sicheren und sozial abgesicherten Lebens in der Stadt, die Schaffung von Rahmenbedingungen für gute Arbeit und bezahlbares Wohnen für alle Bürger und Bürgerinnen.

Defizite sah er in Bezug auf die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum durch das Denken in den Grenzen der Gebietskörperschaften und bei der Berücksichtigung der Mobilitätsaspekte.

Kritisch fragte er, ob nicht unser heutiger Anspruch an Wohnraum zu hoch sei – angesichts der Tatsache, dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf in Deutschland 47 qm beträgt und z.B. in Bonn 51 % der Einwohner und Einwohnerinnen in Ein-Personenhaushalten leben. Im Blick auf die Baulandentwicklung müsse man die Region betrachten. Mit Protesten gegen Verdichtung müsse sensibel umgegangen werden.

In der Diskussion wurden an drei den Impulsreferaten zugeordneten Thementischen zahlreiche Fragen, Argumente und Forderungen zusammengetragen, die im Folgenden dokumentiert werden:

  • Vielfach sind es eher die Investoren, die entscheiden, wo und wie auf den Bedarf an Wohnraum reagiert wird, oftmals nicht die Stadt.
  • Gegen Neubauvorhaben bilden sich schnell wortstarke Initiativen, die teils mit bedenkenswerten Argumenten (z.B. Klima- und Naturschutz, Verkehr), die allerdings gelegentlich für die eigenen Interesse instrumentalisiert werden, und teils mit recht egoistischen Argumenten die Vorhaben verhindern wollen. Es ist Aufgabe der Stadtplanung, die Prozesse so zu steuern, dass sich Eigentümer, Investoren, Kommunalpolitik und Bürgerschaft nicht gegenseitig blockieren. Der Dialog mit Interessierten und Betroffenen, wozu auch die Wohnungssuchenden gehören, muss vertrauensbildend und kompromissorientiert geführt werden.
  • Die Vergabe von öffentlichen Grundstücken für Wohnungsbebauung kollidiert mit Vergaberichtlinien, nach denen das finanziell beste Angebot das gemeinsinnorientierte Angebot aussticht.
  • Die Stadt Bonn (Rat und Verwaltung) schöpft den vorhandenen Instrumentenkasten zur Baulandgewinnung und zum Wohnungsbau incl. des sozialen Wohnungsbaus nicht aus. Die unterschiedlichen Interessen - z.B. Bürogebäude und Hotels vs. Wohnraum, hochpreisiger Wohnraum vs. Sozialwohnungen, Nachverdichtung vs. Anwohnerproteste – werden schlecht ausbalanciert.
  • An Handlungsoptionen wurden eingebracht: · Nachverdichtung, Baulückenschließung, Dachaufbau
    · Konzeptionsorientiertes Bauen (mehr Wettbewerbe)
    · Förderung von Genossenschaften
    · Erbpacht statt Verkauf von Bauland
    · Etablierung kommunaler Vorkaufsrechte
    · Baulandmobilisierung
    · Einsatz von Steuerungsinstrumenten, z.B. der Grundsteuer, zur Reduzierung des Wohnraumverbrauchs
    · Intensiveres Vorgehen gegen Zweckentfremdung und Leerstände von Wohnraum
    · Planvolle Einbeziehung von leerstehenden und brachliegenden Landes- und Bundesimmobilien und -grundstücken
    · Finanzielle Ertüchtigung der Vebowag incl. des Rückkaufs von Wohnungsbeständen
    · Bau von Wohnheimen für Studierende und Auszubildende, gegebenenfalls auch durch Nutzung von nicht mehr benötigten Flüchtlingsheimen
    · Kommunale Aufgabe: Vermeidung von Segregation und Gentrifizierung
  • Kontrovers gesehen wurde die Forderung, junge Menschen sollten planvoll Geld ansammeln, um Häuser bauen oder Wohnungen kaufen zu können. Dagegen stand vehement die Meinung, dass Mietwohnungen der moderne Weg sind (nutzen statt haben).
  • In Bonn gibt es große Wohnungen und Häuser im Eigentum, in denen inzwischen ältere Menschen allein oder zu zweit leben, die einerseits durch einen Verkauf emotional und organisatorisch überfordert sind, die andererseits aber auch keine erschwinglichen altengerechten kleineren Wohnungen in ihrem gewohnten Viertel finden. Die Stadtverwaltung sollte eine Beratungs- und Organisationshilfestelle einrichten oder diese Aufgabe an einen Sozialverband mit kostendeckender Förderung auslagern.
  • Der große Bedarf an Wohnraum für gemeinschaftliche Wohnformen und für behindertengerechtes Wohnen darf kein Randaspekt bleiben.
  • Es ist problematisch, dass in Bonn immer mehr Bürogebäude entstehen, ohne gleichzeitig zu fragen, wo die Menschen, die dort arbeiten, wohnen können und wie sie zu ihrem Arbeitsplatz kommen sollen.
  • Statt den Bau von immer mehr Bürogebäuden zu genehmigen, sollte der Wohnungsbau forciert werden. Bürger und Bürgerinnen, die in Bonn ihren ersten Wohnsitz haben, bringen der Stadt über den Einkommenssteueranteil möglicherweise mehr Einnahmen, als immer mehr Dienstleistungsunternehmen, zumal wenn sie ihren steuerpflichtigen Hauptsitz ganz woanders haben.
  • Das alte Bundes- bzw. neue UN-Quartier ist monostrukturell aufgestellt. Es gibt zu wenig Wohnungen und zu wenig Versorgungsinfrastruktur, deren Ausbau bei der Entwicklung weiterer Büroflächen ebenso in den Blick genommen werden müssen wie die Verkehrsbelastung.
  • Als problematisch wird heute vielfach das empfunden, was noch bis in die 70er Jahre als ein zeitgemäßer und menschenfreundlicher Wesenskern der Stadtentwicklung des industriellen Zeitalters gefeiert wurde: Das Auseinanderfallen von Wohn- und Arbeitsort. Wohnen und Arbeiten in der Dienstleistungsgesellschaft wieder näher zusammenzubringen, könnte viele Vorteile bringen, z.B. Reduzierungen im Verkehrsbereich. Erforderlich ist dazu aber auch eine bessere Flächennutzung, indem mehr in die Höhe gebaut wird. Das können menschengerechte Hochhäuser sein, ein oder zwei Stockwerke mehr wären aber auch schon ein Gewinn.

Wohnen ist eine der wichtigsten sozialen Fragen der Gegenwart. Gute und bezahlbare Wohnungen für untere und mittlere Einkommen verhindern eine Verschärfung der Ungleichheiten in unserer Gesellschaft und tragen damit zu einem gedeihlichen sozialen Miteinander und zur Festigung der Demokratie bei.

Zusammenfassung: Christine Schmarsow, AWO Bad Godesberg, September 2019

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